Die Schäfer- und Hirtenlyrik stellte das Hirtenleben meist idealisierend und verklärend dar: Menschen die frei und unbekümmert in der Natur leben, Schäfertänze tanzen und junge Mädchen verführen. Hirten werden, da sie Nomaden (= mit Herden Umherziehende) sind, von den sesshaften Ackerbauern als Bedrohung gesehen. Sie haben keine harte Feldarbeit zu leisten und brechen als Fremde von außen in bestehende Gemeinschaften ein.
Abraham, Isaak, Jakob und seine Söhne waren Nomaden und Hirten im Sinne von Führern einer Herde, auch der Herde ihres Volkes, ihrer Schutzbefohlenen. Sie waren allesamt vertraut mit der Natur und den kosmischen Erscheinungen, verstanden sich als von Gott Geführte und Beauftragte und gehorchten dem göttlichen Willen. Der als Hirtenjunge geborene, spätere König David, brachte als Held mit seiner Steinschleuder, einer einfachen Hirtenwaffe, den Riesen Goliath (Vorkämpfer der Philister) zu Fall.
Die Hirten sind der Natur und den Tieren nah, schlafen nachts unter dem Sternenzelt und sind deshalb vielleicht eher empfänglich für besondere Erfahrung und Erleuchtung. Sie sind damit offener und haben eine andere Sicht auf die Dinge, die sich zwischen Himmel und Erde abspielen.
Der Hirte hat seit Jahrtausenden in vielen Kulturen eine symbolische Bedeutung als schützende fürsorgliche Gestalt. In der frühen Christenheit ist der "gute Hirte" das Bild, das am meisten für Jesus verwendet wurde; erst im Mittelalter wurde das Kreuz zum Hauptsymbol der Christen. Der „gute Hirte“ als Gott, Vater, sorgender Hüter, Wächter und Beschützer, Führer, Begleiter und Tröster findet sich z.B. auch im 23. Psalm „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nicht mangeln“ oder im Johannes Evangelium: "Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für seine Schafe. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar [...] Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle; und dieselben muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird eine Herde und ein Hirte werden." (Joh 10, 11ff)
Schon im Alten Testament werden die Fürsten des Volkes mit Hirten verglichen. Hier werden gute und schlechte Hirten unterschieden, je nachdem ob ihr Blick auf sie selbst oder auf die Herde (d.h. das Volk) gerichtet ist. Petrus hat den ausdrücklichen Auftrag, die Schafe zu weiden (Joh. 21, 15 ff.)
Diese positive Vater - und Hirtenvorstellung wird bis heute in der Organisation der Kirche verwendet: der Begriff Pastor ist das lateinische Wort für Hirte.
Das Lamm und das Schaf, insbesondere aber der Widder (männliches Schaf) waren das traditionelle Opfertier im kleinasiatischen Raum. Die Gleichsetzung von Christus mit dem Lamm bedeutet den symbolischen Hinweis auf den Opfertod des Gottessohnes. C. G. Jung hat diese Symbolik mehrfach erwähnt und darauf hingewiesen, dass „Hirt-, Widder- und Lammsymbolik koinzidieren mit dem ausgehenden Äon des Aries. [...] Zwei der wichtigsten Mysteriengötter dieser Zeit, Attis und Christus, sind gleichermaßen durch Hirten, Widder und Fisch charakterisiert. (C. G. Jung, 1976, GW 9/II, §162). Christus als Hirte ist damit eingereiht in die archetypische Vorstellung eines überragenden umfassenden vollkommenen oder vollständigen Wesens, das, wie Jung im Einzelnen nachweist, dem Archetyp des Selbst zuzuordnen ist. (C. G. Jung, 1976, GW 11, §229 f.).
Durch den Hirten wird ein Aspekt des Selbst deutlich, nämlich die fürsorgliche, fast mütterlich/väterliche und schützende Seite, die in jedem Menschen wirksam ist. Gerade in Seelsorge und Psychotherapie ist es eine entscheidende Hilfe, wenn sich Menschen wieder auf dieses eigene innere Potenzial besinnen und in diesem Sinne ein Selbst -Vertrauen gewinnen und neu verankern können.
Eine allzu starke und unreflektierte Identifizierung des Seelsorgers oder Psychotherapeuten mit dem Hirtenbild hat natürlich auch seine Schattenseiten. Menschen, die um Rat und Betreuung suchen, werden so eher im negativen Sinne zu Schafen und zu kleinen Wesen, die ständig schutzbedürftig sind.
Hirte und Herde können auch die frühe archaische Ebene unseres Bewusstseins und unseres Verhaltens symbolisieren: Die Tiere sind zwar Einzelwesen, zugleich aber emotional völlig verbunden mit der sozialen Gruppe und somit in einer Art Einheitsbewusstsein, das noch nicht die Schwere der einsamen, ich-bewussten Entscheidung durchleiden muss. Sie folgen, so sagen wir umgangssprachlich, wie „dumme Schafe “ ihrem Herdentrieb. Der Hirte nimmt stellvertretend seiner Herde die Aufgabe der selbstverantwortlichen Arbeit und Entscheidung ab, so wie es der Vater der mythologischen Bewusstseinsstufe in der patriarchalen Kultur gegenüber seiner Familie tut.
Innerpsychisch entspricht dem wohl unser elterlich und gesellschaftlich geprägtes Überich, dem wir diese Verantwortung überlassen. Wir fragen nicht danach, was wir selbst für gut und richtig halten, sondern wir denken und verhalten uns so, wie man es eben allgemein so tut und es „die anderen Leute“ machen und erwarten. Somit vermeiden wir in einen Konflikt mit unseren inneren und äußeren Eltern zu geraten.
Die Sehnsucht nach einem guten Hirten, der uns führt und leitet, könnte also auf eine noch kindliche Verfassung des Ichbewusstseins, der Wichtigkeit des Gefühls von Aufgehobenheit, auf eine noch wenig ausgeprägte Individualität innerhalb der Gruppe, Familie, Sippe oder Herde hindeuten. In späteren Phasen der Bewusstseinsentwicklung und Individuation kann sich aber die Stimme des kollektiven Gewissens und des Überichs zur inneren Stimme des Selbst wandeln. Man folgt dann nicht mehr primär den traditionell und gesellschaftlich vorgeprägten Lebensformen, Moralvorstellungen, sondern seinem „inneren Auftrag“ und seinem eigenen Gewissen.
Andererseits ist die Herde ein Symbol der Fülle der psychischen Möglichkeiten, die jedoch längere Zeit der Fürsorge und der sorgfältigen Beachtung bedürfen. Noch einmal vom Symbol des Tieres ausgehend würde das heißen, dass jeder psychische Inhalt von Anfang an autonom lebensfähig ist und Zielpunkte seiner Entwicklung in sich trägt. Vor diesem Hintergrund ist es keine unpassende Symbolik, die Beziehung eines Therapeuten oder Seelsorgers zu den Menschen, für die er sich mitverantwortlich fühlt, im Symbol des Hirten und seiner Herde abzubilden.
(Inspiration und Auszüge aus http://www.symbolonline.de/index.php?title=Hirte)
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